Plinius: Epistulae – Buch 1.12 – Übersetzung

Lateinischer Text: Deutsche Übersetzung:
C. Plinius calestrio Tironi suo S.C – Liber primus, Epistula 12 C. Plinius grüßt seinen Tiro – Buch 1, Brief 12
Iacturam gravissimam feci, si iactura dicenda est tanti viri amissio. Ich habe einen sehr schweren Verlust erlitten, wenn man den Verlust eines so bedeutenden Mannes einfach einen Verlust nennen kann.
Decessit Corellius Rufus et quidem sponte, quod dolorem meum exulcerat. Corellius Rufus ist aus dem Leben geschieden, und zwar freiwillig, was meinen Schmerz noch verschlimmert.
Est enim luctuosissimum genus mortis, quae non ex natura nec fatalis videtur. Ist es doch besonders traurig, wenn der Tod nicht natürlich und schicksalhaft erscheint.
Nam utcumque in illis qui morbo finiuntur, magnum ex ipsa necessitate solacium est; In iis vero quos accersita mors aufert, hic insanabilis dolor est, quod creduntur potuisse diu vivere. Denn bei denen, die von einer Krankheit dahingerafft werden, liegt immerhin ein starker Trost eben in der Unabwendbarkeit; Bei denen, die ein freiwilliger Tod entführt, ist der Schmerz darüber unheilbar, weil man glaubt, sie hätten noch lange leben können.
Corellium quidem summa ratio, quae sapientibus pro necessitate est, ad hoc consilium compulit, quamquam plurimas vivendi causas habentem, optimam conscientiam optimam famam, maximam auctoritatem, praeterea filiam uxorem nepotem sorores, interque tot pignora veros amicos. Corellius sah sich von höchster Vernunft, die dem Weisen als Notwendigkeit gilt, zu diesem Entschluß getrieben, obwohl er viele Gründe hatte, am Leben zu hängen, ein reines Gewissen, den besten Ruf, hohes Ansehen, außerdem eine Tochter, eine Frau, einen Enkel und neben all diesen Unterpfändern der Liebe echte Freunde.
Sed tam longa, tam iniqua valetudine conflictabatur, ut haec tanta pretia vivendi mortis rationibus vincerentur. Aber ihn plagte eine so langwierige, quälende Krankheit, dass diese Reize, die ihn ans Leben fesselten, von den Gründen, in den Tod zu gehen, aufgewogen wurden.
Tertio et tricensimo anno, ut ipsum audiebam, pedum dolore correptus est. Im 33. Lebensjahre ist er, wie ich von ihm selbst gehört habe, von der Gicht befallen worden.
Patrius hic illi; Nam plerumque morbi quoque per successiones quasdam ut alia traduntur. Das war ein Erbübel vom Vater her; Wie andere Dinge, werden oft auch Krankheiten durch mehrere Generationen vererbt.
Hunc abstinentia sanctitate, quoad viridis aetas, vicit et fregit; Novissime cum senectute ingravescentem viribus animi sustinebat, cum quidem incredibiles cruciatus et indignissima tormenta pateretur. Solange er in der Blüte der Jahre stand, gelang es ihm, durch Enthaltsamkeit und geregelte Lebensweise sein Leiden zu besiegen und zu entkräften; In der letzten Zeit, als es mit mit dem Alter schlimmer wurde, suchte er es durch eiserne Willenskraft zu bändigen, obwohl er unglaubliche Qualen und abscheuliche Martern erlitt.
Iam enim dolor non pedibus solis ut prius insidebat, sed omnia membra pervagabatur. Denn der Schmerz saß jetzt nicht mehr wie früher allein in den Füßen, sondern durchströmte alle Glieder.
Veni ad eum Domitiani temporibus in suburbano iacentem. Ich habe ihn noch zur Zeit Domitians besucht, als er in seinem Suburbanum darniederlag.
Servi e cubiculo recesserunt, habebat hoc moris, quotiens intrasset fidelior amicus; Quin etiam uxor quamquam omnis secreti capacissima digrediebatur. Die Sklaven verließen das Zimmer, das pflegte er so zu halten, wenn ein besonders vertrauter Freund eintrat; Dass sogar seine Gattin, die doch in alle Geheimnisse eingeweiht war, sich zurückzog.
Circumtulit oculos et ‚Cur‘ inquit ‚me putas hos tantos dolores tam diu sustinere? Ut scilicet isti latroni vel uno die supersim.‘ Er ließ seine Augen umherschweifen und sagte dann: „Warum ertrage ich diese entsetzlichen Schmerzen wohl so lange? Natürlich nur, um diesen Strolch jedenfalls um einen Tag zu überleben.“
Dedisses huic animo par corpus, fecisset quod optabat. Hätte man diesem Geist einen ebenbürtigen Körper gegeben, er hätte ausgeführt, was er wünschte.
Adfuit tamen deus voto, cuius ille compos ut iam securus liberque moriturus, multa illa vitae sed minora retinacula abrupit. Doch Gott erhörte seinen Wunsch, und als er ihn erfüllt sah und nunmehr unbesorgt und frei sterben konnte, da zerriss er die vielen, doch allzu lockeren Bande des Lebens.
Increverat valetudo, quam temperantia mitigare temptavit; Perseverantem constantia fugit. Sein Leiden hatte sich weiter verschlimmert,(und) er suchte es wieder durch Maßhalten zu lindern; Als es anhielt, brachte er den Mut auf, sich ihm zu entziehen.
Iam dies alter tertius quartus: abstinebat cibo. Schon den zweiten, dritten, vierten Tag verweigerte er die Nahrungsaufnahme.
Misit ad me uxor eius Hispulla communem amicum C. Geminium cum tristissimo nuntio, destinasse Corellium mori nec aut suis aut filiae precibus inflecti; Solum superesse me, a quo revocari posset ad vitam. Da schickte seine Gattin Hispulla unsern gemeinsamen Freund C. Geminius zu mir mit der erchütternden Botschaft, Corellius sei fest entschlossen zu sterben und lasse sich weder durch ihre noch durch ihrer Tochter Bitten davon abbringen; Ich sei jetzt der Einzige, der ihn noch ins Leben zurückrufen könne.
Cucurri; Perveneram in proximum, cum mihi ab eadem Hispulla Iulius Atticus nuntiat nihil iam ne me quidem impetraturum: tam obstinate magis ac magis induruisse. Ich machte mich eilends auf den Weg, war bereits ganz in der Nähe, als mir wieder Hispulla durch Iulius Atticus sagen ließ, auch ich würde nichts mehr ausrichten, so starrsinnig habe er sich darauf versteift.
Dixerat sane medico admoventi cibum: ‚Kekrika‘, quae vox quantum admirationis in animo meo tantum desiderii reliquit. Als der Arzt ihm zu essen geben wollte, hatte er gesagt: „Mein Entschluß steht fest!“, ein Wort, das in meiner Seele tiefen Schmerz, aber auch hohe Bewunderung auslöste.
Cogito quo amico, quo viro caream. Ich weiß, welch treuen Freund, welch großen Mann ich in ihm verloren habe.
Implevit quidem annum septimum et sexagensimum, quae aetas etiam robustissimis satis longa est; Scio. 67 Jahre alt ist er geworden, selbst für Kerngesunde ein recht hohes Alter; Ich weiß.
Evasit perpetuam valetudinem; Scio. Er hat sich endlosem Siechtum entzogen; Ich weiß
Decessit superstitibus suis, florente re publica, quae illi omnibus carior erat; Et hoc scio. Er ist heimgegangen, während seine Lieben noch am Leben waren und der Staat wieder aufblühte, der ihm mehr galt als alle seine Lieben; Auch das weiß ich.
Ego tamen tamquam et iuvenis et firmissimi mortem doleo, doleo autem, licet me imbecillum putes, meo nomine. Trotzdem schmerzt mich sein Tod wie der eines Mannes in den besten Jahren, schmerzt mich, magst Du mich gleich für einen Schwächling halten, ganz persönlich.
Amisi enim, amisi vitae meae testem rectorem magistrum. Denn ich habe den Augenzeugen, den Lenker und Lehrer meines Lebens verloren.
In summa dicam, quod recenti dolore contubernali meo Calvisio dixi: ‚Vereor ne neglegentius vivam.‘ Um es in ein Wort zu fassen, wiederhole ich, was ich in frischem Schmerz zu meinem Freund Calvisius gesagt habe: „Ich befürchte, dass ich mich jetzt gehen (vivere – eig. leben) lasse.“
Proinde adhibe solacia mihi, non haec: ‚Senex erat, infirmus erat‘ haec enim novi, sed nova aliqua, sed magna, quae audierim numquam, legerim numquam. Darum sprich mir Trost zu, aber nicht so: „Er war ein alter Mann und gebrechlich“, das weiß ich ja selbst, sondern bring‘ etwas Neues, Wirksames, was ich noch nie gehört, noch nie gelesen habe.
Nam quae audivi quae legi sponte succurrunt, sed tanto dolore superantur. Vale. Denn was ich gehört und gelesen habe, kommt mir ohnehin in den Sinn, verfehlt aber bei so tiefem Schmerz seine Wirkung. Leb wohl.

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