Seneca: Epistulae Morales – Epistula 16 – Übersetzung

Lateinischer Text: Deutsche Übersetzung:
Wiedereinmal Philosophie. Seneca grüßt seinen Lucilius (Brief 16)
Liquere hoc tibi, Lucili, scio, neminem posse beate vivere, ne tolerabiliter quidem, sine sapientiae studio, et beatam vitam perfecta sapientia effici, ceterum tolerabilem etiam inchoata. Ich weiß, Lucililus, dass dies dir klar ist, dass niemand glücklich leben kann, nicht einmal erträglich, ohne die Bemühung um die Weisheit, und dass das glückliche Leben durch vollkommene Weisheit bewirkt wird, aber auch ein erträgliches (Leben) durch begonnene Weisheit.
Sed hoc quod liquet firmandum et altius cotidiana meditatione figendum est: plus operis est in eo ut proposita custodias quam ut honesta proponas. Aber das, was klar ist, muss bekräftigt werden und durch tägliches Nachdenken tiefer gefestigt werden: Bei diesen ist es mühevoller, dass du die Vorsätze bewahrst, als dass du das Ehrenhafte in Aussicht stellst.
Perseverandum est et assiduo studio robur addendum, donec bona mens sit quod bona voluntas est. Man muss (auf den Vorsätzen) beharren und die Kraft muss durch ständiges Bemühen hinzugefügt werden, solange bis die innere Haltung gut ist, was guter Wille ist.
Itaque – non opus est – tibi apud me pluribus verbis aut affirmatione tam longa: intellego multum te profecisse. Deshalb sind dir bei mir nicht mehr Worte oder eine so lange Bekräftigung nötig: ich sehe ein, dass du viele Fortschritte gemacht hast.
Quae scribis unde veniant scio. Woher das kommt, das du schreibst, weiß ich.
Non sunt ficta nec colorata. Es ist weder erfunden noch beschönigt.
Dicam tamen quid sentiam. Ich werde dennoch sagen, was ich denke.
Iam de te spem habeo, nondum fiduciam. Schon setze ich Hoffnung auf dich, noch nicht Vertrauen.
Tu quoque idem facias volo. Ich will, dass auch du das gleiche machst.
Non est quod tibi cito et facile credas. Es besteht kein Grund, dass du dir schnell und leicht glaubst.
Excute te et varie scrutare et observa; illud ante omnia vide, utrum in philosophia an in ipsa vita profeceris. Prüfe dich und untersuche auf verschiedene Art und Weise und beobachte; schaue vor allem auf jenes, ob du in der Philosophie oder im Leben selbst Fortschritte gemacht hast.
Non est philosophia populare artificium nec ostentationi paratum. Nicht ist die Philosophie ein nach Volksgunst strebender Beruf und nicht geeignet zur Prahlerei.
Non in verbis sed in rebus est. Sie beruht nicht auf Worten, sondern auf Taten.
Nec in hoc adhibetur, ut cum aliqua oblectatione consumatur dies, ut dematur otio nausea: Und nicht wird sie dazu angewandt, dass mit irgendeiner Freude der Tag verbracht wird, dass der Freizeit die Langeweile genommen wird:
Animum format et fabricat, vitam disponit, actiones regit, agenda et omittenda demonstrat, sedet ad gubernaculum et per ancipitia fluctuantium derigit cursum. Sie formt und bildet den Geist, ordnet das Leben, lenkt die Handlungen, zeigt auf, was getan und was unterlassen werden muss, sitzt am Steuerruder und lenkt den Kurs durch die Gefahren der Fluten.
Sine hac nemo intrepide potest vivere, nemo secure: innumerabilia accidunt singulis horis quae consilium exigant, quod ab hac petendum est. Ohne sie kann niemand furchtlos leben, niemand sicher: Unzähliges ereignet sich in den einzelnen Stunden, das Rat erfordert, der von ihr erstrebt werden muss.
Dicet aliquis, ‚quid mihi prodest philosophia, si fatum est? Irgendeiner wird sagen: „Was nützt mir die Philosophie, wenn es den Götterspruch gibt?
Quid prodest, si deus rector est? Was nützt es, wenn Gott der Lenker ist?
Quid prodest, si casus imperat? Was nützt es, wenn der Zufall herrscht?
Nam et mutari certa non possunt et nihil praeparari potest adversus incerta, sed aut consilium meum occupavit deus decrevitque quid facerem, aut consilio meo nihil fortuna permittit.‘ Denn das gewisse (Dinge, die schon entschieden sind, können ) kann nicht geändert werden und gegen das Ungewisse kann nichts vorbereitet werden, sondern entweder ist meinem Plan ein Gott zuvorgekommen und hat entschieden, was ich tun soll, oder das Schicksal erlaubt meinem Plan nichts.

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