Phaedrus: Fabulae – 4,05 (Poeta) – Übersetzung

Lateinischer Text: Deutsche Übersetzung:
Poeta – Liber quartus (4) Der Dichter – Buch 4
Plus esse in uno saepe quam in turba boni
narratione posteris tradam brevi.
Dass oft ein einziger mehr kann als der Haufen, will ich in einer kurzen Mär der Nachwelt zeigen.
Quidam decedens tres reliquit filias,
unam formosam et oculis venantem uiros,
at alteram lanificam et frugi rusticam,
deuotam vino tertiam et turpissimam.
Es hinterließ ein Vater sterbend einst drei Töchter, die eine schön, doch sah sie gern den Männern nach, die zweite spann und baute fleißig ihren Acker, die dritte und hässlichste war sehr dem Wein ergeben.
Harum autem matrem fecit heredem senex
sub condicione, totam ut fortunam tribus
aequaliter distribuat, sed tali modo:
Die Mutter dieser war als Erbin eingesetzt, mit der Bedingung aber, dass sie ihren Kindern ganz gleiche Teile überlasse, sondern auf diese Weise:
„Ni data possideant aut fruantur“; tum „simul
habere res desierint quas acceperint,
centena matri conferant sestertia.“
„So, dass sie vom Erbe nichts besäßen noch genössen“; Dann, „wenn sie das Gut dann eingebüßt, das sie erhalten, so sollte der Mutter jede hundert Drachmen zahlen.“
Athenas rumor implet, mater sedula
iuris peritos consulit; Nemo expedit
quo pacto ni possideant quod fuerit datum,
fructumue capiant; deinde quae tulerint nihil
quanam ratione conferant pecuniam.
Es sprach Athen hiervon. Die Mutter fragte eifrig die Rechtsgelehrten; Niemand konnte den Sinn enträtseln, auf welche Art sie nicht besäßen noch genössen, was ihnen doch gegeben wäre, wie sie ferner das Geld bezahlen sollten, wenn sie nichts erhalten.
Postquam consumpta est temporis longi mora,
nec testamenti potuit sensus colligi,
fidem aduocavit iure neglecto parens.
Nachdem schon eine ziemlich lange Zeit verstrichen und nicht der Sinn des Testaments enträtselt war, verteilte die Mutter nach dem eigenen Ermessen und ohne Gesetzeshilfe die Hinterlassenschaft.
Seponit moechae vestem, mundum muliebrem,
lavationem argenteam, eunuchos glabros,
lanificae agellos, pecora, villam, operarios,
boves, iumenta et instrumentum rusticum;
Potrici plenam antiquis apothecam cadis,
domum politam et delicatos hortulos.
Der liederlichen Dirne gab sie Kleider, Putz und Silberzeug und Tand und manche Diamanten, der Spinnerin das Feld, ein Haus und Arbeitsleute sowie auch Wagen, Vieh und andere Geräte; Der Säuferin dagegen ganze Fässer Wein, ein schmuck möbliertes Haus und üppig schöne Gärten.
Sic destinata dare cum vellet singulis
et adprobaret populus, qui illas noverat,
Aesopus media subito in turba constitit:
Als sie den Töchtern nun die Teile geben wollte und auch das Volk, das jene kannte, zufrieden war, da blieb Äsopus im Gedränge stehn und sagte:
„O si maneret condito sensus patri,
quam graviter ferret quod voluntatem suam
interpretari non potuissent Attici!“
„O wenn der arme Vater dies im Grabe wüsste, wie schmerzlich würd‘ es für ihn sein, dass die Athener es nicht verstehn, sich seinen Willen auszulegen.“
Rogatus deinde soluit errorem omnium: Befragt nach seiner Meinung, löste er so den Irrtum:
„Domum et ornamenta cum venustis hortulis
et vina vetera date lanificae rusticae;
vestem, uniones, pedisequos et cetera
illi adsignate vitam quae luxu trahit;
agros et villam et pecora cum pastoribus
donate moechae. Nulla poterit perpeti
ut moribus quid teneat alienum suis.
„Das Haus, den ganzen Schmuck und auch die schönen Gärten so wie den alten Wein vermacht der Spinnerin; Die Kleider, Edelsteine, Diener und das andere teilt jener zu, die sich an Spiel und Trunk ergötzt; die Äcker aber und die Herden mit den Hirten bekommt die Buhle. Keine wird jedoch von ihnen sich lange daran freuen, was ihren Sitten fremd.
Deformis cultum uendet ut vinum paret,
agros abiciet moecha ut ornatum paret,
at illa gaudens pecore et lanae dedita
quacumque summa tradet luxuriam domus.
Die Hässliche verkauft den Prunk für alten Wein, das Land verkauft die Buhle, um sich Schmuck zu kaufen, und jene Freundin von dem Felde und der Wolle wird ihr so schönes Haus um jeden Preis verkaufen.
Sic nulla possidebit quod fuerit datum,
et dictam matri conferent pecuniam
ex pretio rerum quas vendiderint singulae.“
So wird das niemand haben, was ihm zugeteilt, und ihrer Mutter werden sie das Geld bezahlen von dem Erlös der Sachen, die sie je verkauften.“
Ita quod multorum fugit inprudentiam
unius hominis repperit sollertia.
So hat die Einsicht eines Mannes das gefunden, was einer unerfahrnen Menge ist entgangen.
Eingereicht von Marcus S.

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