Ovid – Metamorphosen – Liber nonus- Dryope – Übersetzung

Dixit, et admonitu veteris commota ministrae
ingemuit. quam sic nurus est affata dolentem:               325
‚te tamen, o genetrix, alienae sanguine nostro
rapta movet facies. quid si tibi mira sororis
fata meae referam? quamquam lacrimaeque dolorque
impediunt, prohibentque loqui. fuit unica matri—
me pater ex alia genuit—notissima forma               330
Oechalidum, Dryope. quam virginitate carentem
vimque dei passam Delphos Delonque tenentis
excipit Andraemon, et habetur coniuge felix.
est lacus, adclivis devexo margine formam
litoris efficiens, summum myrteta coronant.               335
venerat huc Dryope fatorum nescia, quoque
indignere magis, nymphis latura coronas,
inque sinu puerum, qui nondum impleverat annum,
dulce ferebat onus tepidique ope lactis alebat.
haut procul a stagno Tyrios imitata colores               340
in spem bacarum florebat aquatica lotos.
carpserat hinc Dryope, quos oblectamina nato
porrigeret, flores, et idem factura videbar—
namque aderam—vidi guttas e flore cruentas
decidere et tremulo ramos horrore moveri.               345
scilicet, ut referunt tardi nunc denique agrestes,
Lotis in hanc nymphe, fugiens obscena Priapi,
contulerat versos, servato nomine, vultus.
‚Nescierat soror hoc. quae cum perterrita retro
ire et adoratis vellet discedere nymphis,               350
haeserunt radice pedes. convellere pugnat,
nec quicquam, nisi summa movet. subcrescit ab imo,
totaque paulatim lentus premit inguina cortex.
ut vidit, conata manu laniare capillos,
fronde manum implevit: frondes caput omne tenebant.               355
at puer Amphissos (namque hoc avus Eurytus illi
addiderat nomen) materna rigescere sentit
ubera; nec sequitur ducentem lacteus umor.
spectatrix aderam fati crudelis, opemque
non poteram tibi ferre, soror, quantumque valebam,               360
crescentem truncum ramosque amplexa morabar,
et, fateor, volui sub eodem cortice condi.
‚Ecce vir Andraemon genitorque miserrimus adsunt,
et quaerunt Dryopen: Dryopen quaerentibus illis
ostendi loton. tepido dant oscula ligno,               365
adfusique suae radicibus arboris haerent.
nil nisi iam faciem, quod non foret arbor, habebat
cara soror: lacrimae misero de corpore factis
inrorant foliis, ac, dum licet, oraque praestant
vocis iter, tales effundit in aera questus:               370
„siqua fides miseris, hoc me per numina iuro
non meruisse nefas. patior sine crimine poenam.
viximus innocuae. si mentior, arida perdam
quas habeo frondes, et caesa securibus urar.
hunc tamen infantem maternis demite ramis,               375
et date nutrici, nostraque sub arbore saepe
lac facitote bibat, nostraque sub arbore ludat.
cumque loqui poterit, matrem facitote salutet,
et tristis dicat ‚latet hoc in stipite mater.‘
stagna tamen timeat, nec carpat ab arbore flores,                380
et frutices omnes corpus putet esse dearum.
care vale coniunx, et tu, germana, paterque!
qui, siqua est pietas, ab acutae vulnere falcis,
a pecoris morsu frondes defendite nostras.
et quoniam mihi fas ad vos incumbere non est,               385
erigite huc artus, et ad oscula nostra venite,
dum tangi possum, parvumque attollite natum!
plura loqui nequeo. nam iam per candida mollis
colla liber serpit, summoque cacumine condor.
ex oculis removete manus. sine munere vestro               390
contegat inductus morientia lumina cortex!“
desierant simul ora loqui, simul esse. diuque
corpore mutato rami caluere recentes.‘


Deutsche Übersetzung: (Buch 9, Vers 324-393)

Dryope

Iole sprach zur Alkmene, die blühende Schnur zu der Schwieger:
Fremd ist eurem Geschlecht die Verwandelte, welche du, Mutter,
Jetzo beklagst. Wie, wenn ich das wunderbare Verhängnis
Meiner Schwester erzähl‘? obgleich vor Tränen und Wehmut
Fast mir die Rede verstummt! Des Eurytus einzige Tochter
Von der anderen Frau war Dryope, ich von der ersten.
Dryope ragt‘ an Schöne vor allen öchalischen Jungfrau’n,
Selbst von dem Gotte geliebt, der in Delphos waltet und Delos,
Und die Beseligerin des edelen Gatten Andrämon.Dort ist ein See, der gleich abhängigem Ufer des Meeres
Hebet den Bord; und oben bekränzt ein Myrtengebüsch ihn.
Dryope kam hierher, des Geschicks unkundig; und, was noch
Mehr Unwillen erregt, sie weihete Kränze den Nymphen.
Und sie trug an dem Busen den noch nicht jährigen Säugling,
Mütterlich ihn liebkosend, mit warmer Milch ihn ernährend.

Nahe dem sumpfigen Teich, in Purpurröte gehüllet,
Blühte mit Hoffnung der Beeren der wasserliebende Lotus.
Dryope pflückte davon, zur Lust dem spielenden Knäblein,
Einen blumigen Sproß; und nachtun wollt‘ ich es selber,
Denn ich begleitete sie: da ich Blut aus dem Schafte der Blumen
Tröpfeln sah, und die Zweige von zitterndem Schauer gereget.
Siehe, wie nun uns endlich der langsame Bauer verkündet,
Lotis, eine der Nymphen, gejagt von dem schlimmen Priapus,
Hatt‘ in den Baum die Gestalt, mit erhaltenem Namen, verwandelt.

Doch nicht wußt‘ es die Schwester. Da voll von Schrecken sie rückwärts
Gehen wollt‘, und verlassen die angebeteten Nymphen,
Haftete fest an der Wurzel ihr Fuß: zu entreißen versucht sie
Ringend, und regt das Oberste nur: auf wächset von unten
Und umhüllt allmählich den Schoß die bastige Rinde.
Als sie es sah, da begann sie das Haar mit der Hand zu zerraufen:
Laub erfüllte die Hand; rings grünte von Laub ihr die Scheitel.
Aber der Knab‘ Amphissos (denn Eurytus hatte dem Enkel
Diesen Namen erdacht) fühlt schnell sich erhärten der Mutter
Wallende Brust; nicht folget dem saugenden Munde der Milchsaft.
Ach, Zuschauerin war ich des Jammergeschicks; und helfen
Konnt‘ ich, o Schwester, dir nicht! Ich tat, so viel ich vermochte,
Deinen wachsenden Stamm und die Zweig‘ umarmend verweilt‘ ich;
Und mich wünscht‘ ich sogar von derselbigen Rinde bedecket.

Siehe, da naht Andrämon der Mann, und der jammernde Vater:
Dryope suchen sie dort; für Dryope, welche sie suchen,
Zeig‘ ich den Lotusbaum: dem laulichen geben sie Küsse,
Und um die Wurzel des Baums, des ihrigen, schmiegen sich beide.
Nichts mehr hattest du noch, o Schwesterchen, welches nicht Baum war,
Als das Gesicht. Von Tränen wird rings aus verwandeltem Leibe
Sprossendes Laub ihr betaut; und weil sie vermag und der Mund noch
Stimme gewährt, so ergießt sie die klagenden Tön‘ in die Lüfte:

Findet der Elende Glauben, ich hab‘ (o ihr Himmlischen hört es!)
Nicht dies Greuel verdient; ich leid‘ unsündig die Strafe!
Schuldlos lebet‘ ich stets! Wo ich heuchele, mög ich verdorrend
Streuen mein Laub, und mit Äxten gehaun auflodern in Feuer!
Aber, o nehmt dies Kind aus den ästigen Mutterarmen,
Und vertraut es der Amme; doch oft mir unter dem Baume
Laß es trinken die Milch, oft spiel‘ es mir unter dem Baume!
Kann er sprechen, der Knabe, so heißt ihn grüßen die Mutter;
Und er sage betrübt: Hier wohnt in dem Stamme die Mutter!
Aber er scheue den See, und pflücke nicht Blumen vom Baume!
Rächende Göttinnen sein in jeglichem Strauche, gedenk‘ er!
Lebe wohl, du teurer Gemahl, du Schwester, und Vater!
Heget ihr Lieb‘ im Herzen, o schützt vor der Hippe Verwundung,
Schützt vor dem Zahne des Viehs der Eurigen grünende Blätter!
Und da mir das Geschick zu euch mich zu neigen verbietet,
Streckt die Glieder empor, und kommt zu unseren Küssen,
Weil noch küsset der Mund; auch hebt zum Munde das Kindlein!
Schon erstirbt mir das Wort, schon über den schimmernden Hals her
Kriecht der geschmeidige Bast, und der obere Wipfel umhüllt mich!
Nicht mit der Hand die Augen gedrückt! ohn‘ euere Liebe
Deckt den gebrochenen Blick mir schon die umhüllende Rinde!

Jetzo endet‘ ihr Mund die Rede zugleich und das Dasein.
Und der Verwandelten blieb noch warm das frische Gezweige.

Also erzählt der Schwester bejammernswürdiges Schicksal
Iole, hüllt dann schluchzend ihr Purpurgewand um das Antlitz
Auch Alkmen‘ entreibt mit dem Daum vordringende Tränen
Ihrem Aug‘, inbrünstig des Eurytus Tochter beklagend.

 

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